Selbstverständnis

Kollektivistas beim „Flusstival – Fest der Kollektive“ am 23. September 2023 am Kollektivcafé Kurbad

Kollektive sichtbarer machen

Seit Jahrzehnten arbeiten Menschen in Kassel in selbstverwalteten Kollektivbetrieben. Manche gibt es schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten, andere existieren inzwischen nicht mehr oder haben ihre Struktur verändert. Einige haben sich in den letzten Jahren neu gegründet. Aktuell wissen wir von rund 20 Betrieben in und um Kassel, die kollektiv arbeiten. Die Betriebe sind in diversen Arbeitsfeldern tätig, sind unterschiedlich groß, haben verschiedene Rechtsformen und organisieren sich entsprechend unterschiedlich. Was uns eint, ist unser übergeordneter Anspruch an gleichberechtigte Entscheidungsstrukturen, an gemeinsame Besitzverhältnisse und dem Versuch, gesellschaftliche Alternativen zu leben.

Mit der Vernetzung möchten wir sichtbarer werden – als Ganzes und als einzelne Betriebe. Wir möchten einen Beitrag dazu leisten, dass kollektive Organisierung als gesellschaftliche Alternative wahrgenommen und denkbar wird. Und vielleicht kann unsere Sichtbarkeit dazu beitragen, dass sich immer mehr Kollektive gründen.

Zudem möchten wir uns gegenseitig stärken, indem wir uns austauschen und unterstützen und damit auch auf dieser Ebene der Individualisierung und Konkurrenz etwas entgegensetzen.

Kollektives Arbeiten

Unser Verständnis von kollektivem Arbeiten umfasst folgende Kriterien, wenngleich wir nicht alle Kriterien in gleicher Weise gewichten und wir sie auf teilweise sehr unterschiedliche Art und Weise leben:

Gleichberechtigte Entscheidungsstrukturen / Selbstverwaltung

In einem Kollektivbetrieb sind alle mitarbeitenden Personen gleichberechtigt an Entscheidungen beteiligt, die Verantwortung wird somit gemeinsam getragen. Die Ausführung der Tätigkeiten sowie die übergeordnete Planung und Gestaltung ist nicht hierarchisch verteilt, sondern Zuständigkeiten werden je nach Fähigkeiten und Interessen verteilt. Ziel ist größtmögliche Selbstbestimmung. Chefpositionen mit Weisungsbefugnis sind hiermit grundsätzlich ausgeschlossen. Grundlegende Entscheidungen treffen wir im Konsens.

Gemeinsame Besitzverhältnisse / gleicher Lohn für alle

Unabhängig von der zugrunde liegenden Rechtsform gehört der Betrieb allen Mitarbeitenden zu gleichen Teilen. In unseren Betrieben gibt es keine unterschiedlich hohen Löhne aufgrund von Qualifikation, Betriebszugehörigkeit oder besserem Verhandlungsgeschick. Sämtliche anfallende Tätigkeiten werden gleich bezahlt.

Entwicklung einer gesellschaftlichen Alternative

Mit der kollektiven Organisationsform üben wir herrschaftsfreie Verhältnisse und möchten damit einen Beitrag dazu leisten, diese Praxen gesamtgesellschaftlich weiter zu entwickeln.

Ziel der Betriebe ist es nicht, möglichst hohe (private) Gewinne zu erzielen, sondern mit dem Betätigungsfeld gesellschaftlich nützlich zu sein. Und dies mit dem Fokus auf einer herrschaftsfreien Gesellschaftsform. So gilt auch im Verhältnis zu anderen Betrieben das Prinzip Kooperation statt Konkurrenz.

Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Praxen, die unser kollektives Selbstverständnis ausmachen:

Wir gehen bewusst mit informellen Hierarchien (die durch Wissen und Erfahrung, rhetorische Fähigkeiten, Geschlechterverhältnisse und andere Diskriminierungsverhältnisse entstehen) um und versuchen, diesen entgegenzuwirken. Wir üben uns in einem respektvollen und ehrlichen Umgang miteinander. Wir arbeiten an einem Klima, indem die Einzelnen sich sowohl mit ihren Stärken als auch mit ihren Grenzen angstfrei zeigen können. Wir holen uns Unterstützung, wenn wir Konflikte haben. Wir arbeiten an betrieblichen Strukturen, die so flexibel sind und bleiben, dass wir uns in den verschiedenen Feldern ausprobieren können und somit Lernfelder zu ermöglichen. Wir üben uns in Transparenz – nach Innen und nach Außen, auch dies soll ein Beitrag sein, Machtverhältnisse zu minimieren. Auf unsere Kooperation und Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Betrieben versuchen wir unsere Grundsätze weitest möglich zu übertragen.


Ideal trifft auf Realität

Das Streben nach einem Ideal, der Versuch, Dinge „anders“ zu gestalten, bringt unweigerlich mit sich, hierin tagtäglich an Grenzen zu stoßen. Das Gefühl des Scheiterns, der Zweifel „wofür mache ich das jetzt eigentlich alles?“, das Gefühl von Überforderung ist uns allen in unterschiedlichem Ausmaß bekannt.

So führt die Verantwortung für den eigenen Betrieb dazu, dass es eben nicht immer so leicht ist, nach der geplanten Arbeitszeit Feierabend zu machen. Hier stößt die Gestaltungslust auf die Gefahr einer Arbeitsethik, die persönliche Grenzen und Wünsche ignoriert. In diesem Feld sind wir sehr gefordert, uns individuell und gemeinsam gut zu reflektieren.

So sehr wir versuchen, dem kapitalistischen System etwas entgegenzusetzen, so sind wir doch Teil davon. Wenn wir verträgliche Löhne erwirtschaften und menschliche Arbeitsbedingungen schaffen wollen, stehen wir immer wieder aufgrund des ökonomischen Drucks vor der Frage, wie das bloß gehen kann.

Genauso stoßen wir an Grenzen, was die Rechtsform der Betriebe angeht. Jegliche bekannten Rechtsformen basieren auf hierarchischen Logiken, mit Binnenverträgen versuchen wir diese so gut wie möglich zu kollektivieren.

Kollektive Strukturen schließen in unserem Verständnis zusätzliche Anstellungsverhältnisse von Personen, die nicht an den Entscheidungen beteiligt sind, aus. Im Alltag scheitern wir aufgrund von äußeren Zwängen (der Betrieb muss halt einfach laufen, es findet sich keine Person, die ins Kollektiv einsteigen will) teilweise an diesem Grundsatz.

So sehr wir uns bemühen, informellen Hierarchien im Kollektiv aktiv zu begegnen und sie zu schmälern, so oft scheitern wir auch daran. Weil es oft zunächst leichter scheint, weil die meisten von uns sehr geprägt sind von hierarchischem Denken, weil es mühsam ist, (Denk-)Strukturen aufzubrechen.

Unser Ziel ist, mit diesen Widersprüchen umzugehen, sie nicht als ein negativ geprägtes Scheitern wahrzunehmen, sondern aus ihnen zu lernen.